Zur Zulässigkeit einer Kündigung wegen Alkoholsucht des Arbeitnehmers

BAG, Urteil vom 20.03.2014 – 2 AZR 565/12

Ist im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein (Rn. 15).

Bei Vorliegen einer Alkoholkrankheit ist nicht von Belang, ob und ggf. wie oft der Arbeitnehmer in der Vergangenheit objektiv durch seine Alkoholisierung am Arbeitsplatz gesetzliche Vorgaben verletzt hat oder ggf. unerkannt arbeitsunfähig war. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber aufgrund der im Kündigungszeitpunkt fortbestehenden Alkoholerkrankung jederzeit mit einer Beeinträchtigung der Fahr- und Arbeitssicherheit durch den Kläger rechnen muss (Rn. 25, 26).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 10. Mai 2012 – 3 Sa 1134/11 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
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Die Beklagte ist ein Entsorgungsunternehmen, das mit sog. Abbruchschrott aus Metall handelt. In ihrem Betrieb beschäftigt sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer, darunter sechs bis sieben Hofarbeiter und mehrere LKW-Fahrer sowie Verwaltungskräfte. Den Hofarbeitern obliegt es, angelieferten Schrott zu sortieren, zu reinigen und zu entsorgen. Dabei kommen verschiedene Fahrzeuge zum Einsatz wie Gabelstapler, Lader und Bagger mit einem Gewicht von bis zu 35 Tonnen und einer Ausgreifweite von bis zu 20 Metern.
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Der 1956 geborene, verheiratete Kläger war seit März 1999 bei der Beklagten als Hofarbeiter tätig. Sein Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt 2.666,00 Euro.
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Im Jahr 2009 führte die Beklagte ein striktes Alkoholverbot ein, über das sie den Kläger – wie ihre anderen Mitarbeiter auch – schriftlich unterrichtete. Außerdem gab sie auf ihrem gesamten Firmengelände die Geltung der StVO vor. Von ihren Hofarbeitern verlangte sie fortan, im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis (ehemalige Führerscheinklasse „drei“) zu sein. Zugleich stellte sie ihre bis dahin geübte Praxis ein, Mitarbeitern in den Sozialräumen auch alkoholische Getränke zur Verfügung zu stellen. Im Herbst 2010 weitete sie ihr Betriebsgelände zu einem etwa 800 Meter vom Hauptgelände entfernten Containerplatz aus. Seither müssen Hofarbeiter bei der Verrichtung ihrer Tätigkeit zeitweise öffentlichen Straßenraum befahren.
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Am 14. Januar 2010 wurde der Kläger stark alkoholisiert am Arbeitsplatz angetroffen und anschließend nach Hause geschickt. Wegen weiterer Vorkommnisse kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien im Januar und Februar 2010 jeweils aus Gründen im Verhalten des Klägers. Im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess machte dieser geltend, er sei alkoholkrank. Die Beklagte nahm die Kündigungen zurück. Zugleich mahnte sie den Kläger wegen Verstoßes gegen das betriebliche Alkoholverbot ab. Der Kläger nahm das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses an. Im Mai 2010 begann er eine Entziehungskur, die er Anfang Juli 2010 abbrach.
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In den Monaten Juli bis September 2010 führte die Beklagte beim Kläger mit dessen Einverständnis regelmäßig Tests auf Alkohol im Atem durch. Eine entsprechende Kontrolle vom 31. August 2010 ergab einen Wert von 1,81 Promille. Die Beklagte forderte den Kläger auf, das Betriebsgelände zu verlassen. Außerdem mahnte sie ihn wegen „alkoholisierten Erscheinens am Arbeitsplatz“ ab. Bei weiteren Tests vom 13., 15. und 20. September 2010 wurde beim Kläger eine Alkoholkonzentration von 0,6, 0,16 bzw. 0,52 Promille festgestellt. Am 7. Dezember 2010 verursachte er mit einem Firmenfahrzeug außerhalb des Betriebsgeländes einen Unfall. Es entstand Sachschaden. Am 12. Januar 2011 verweigerte er die Teilnahme an einem Alkoholtest. Die Umstände, die zu der Weigerung führten, sind zwischen den Parteien streitig.
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Am 1. März 2011 kontrollierte die Beklagte ihre gewerblichen Arbeitnehmer auf den Besitz eines gültigen Führerscheins. Der Kläger legte eine in Tschechien ausgestellte Fahrerlaubnis vor. Mit Schreiben vom 7. März 2011 teilte sein behandelnder Arzt mit, nach Abbruch der stationären Therapie im Jahr 2010 seien beim Kläger keine weiteren Maßnahmen zur Alkoholentwöhnung durchgeführt worden. Mitte März 2011 forderte die Beklagte den Kläger auf, bis Ende des Monats verbindliche Unterlagen „bezüglich Art und Zeitraum einer Entziehungskur in nächster Zukunft“ sowie über die Gültigkeit seines „tschechischen Führerscheins“ vorzulegen. Der Kläger brachte keine Unterlagen über eine weitere Behandlung bei. Die zuständige Behörde teilte mit, dass die Fahrerlaubnis in Deutschland keine Gültigkeit habe.
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Mit Schreiben vom 4. April 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31. August 2011, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Vom 15. bis zum 26. April 2011 begab sich der Kläger für eine stationäre Behandlung ins Krankenhaus. Er wurde als „arbeitsfähig“ entlassen.
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Gegen die Kündigung hat der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Er sei nicht alkoholabhängig. Erhebliche Betriebsablaufstörungen seien aufgrund seiner gelegentlichen Alkoholisierung nicht eingetreten. Die im Frühjahr 2010 begonnene Entziehungskur habe er abgebrochen, weil er mit dem bezogenen Krankengeld seinen Lebensunterhalt nicht habe bestreiten können. Der Verkehrsunfall vom Dezember 2010 sei auf einen Defekt an dem von ihm gesteuerten Ladefahrzeug zurückzuführen. Im Januar 2011 habe er einen Alkoholtest nicht endgültig verweigert; er habe lediglich darum gebeten, die Kontrolle in Abwesenheit der LKW-Fahrer durchzuführen, wozu die Beklagte nicht bereit gewesen sei. Jedenfalls sei es dieser zumutbar gewesen, ihn ausschließlich auf ihrem Betriebsgelände einzusetzen. Zur Erledigung der dort anfallenden Arbeiten sei eine Fahrerlaubnis nicht zwingend erforderlich. Außerdem habe die Möglichkeit bestanden, ihn als Platzwart oder Hofarbeiter auf dem neuen Containerplatz weiter zu beschäftigen.
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Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 4. April 2011 nicht aufgelöst worden ist.

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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten und in der Person des Klägers bedingt. Dieser habe mehrfach gegen das betriebliche Alkoholverbot verstoßen. Er sei im Kündigungszeitpunkt alkoholabhängig gewesen. Auch habe ihm der ernstliche Wille gefehlt, eine Therapie durchzuführen. Unter diesen Umständen sei ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers als Hofarbeiter aus Sicherheitsgründen nicht länger zuzumuten gewesen. Andere geeignete Arbeitsplätze hätten nicht zur Verfügung gestanden.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Kündigung vom 4. April 2011 ist wirksam.
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I. Die ordentliche Kündigung vom 4. April 2011 ist aufgrund der Alkoholerkrankung des Klägers durch Gründe in seiner Person bedingt und deshalb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.
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1. Ist im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt, diese durch mildere Mittel – etwa eine Versetzung – nicht abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (BAG 20. Dezember 2012 – 2 AZR 32/11 – Rn. 22; zu den Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung vgl. BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 11, BAGE 135, 361). Für die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung einer Alkoholerkrankung kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Entziehungskur bzw. Therapie durchzuführen. Lehnt er das ab, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird (BAG 9. April 1987 – 2 AZR 210/86 – zu B III 3 der Gründe). Ebenso kann eine negative Prognose dann berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer nach abgeschlossener Therapie rückfällig geworden ist (BAG 16. September 1999 – 2 AZR 123/99 – zu II 2 b bb der Gründe).
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2. Im Streitfall war im Zeitpunkt der Kündigung die Annahme gerechtfertigt, der Kläger biete aufgrund von Alkoholsucht nicht mehr die Gewähr, seine Tätigkeit als Hofarbeiter dauerhaft ordnungsgemäß erbringen zu können.
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a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, der Kläger sei nach der Einnahme von Alkohol für die von ihm zu erbringende Tätigkeit als Hofarbeiter nicht einsetzbar. Er ist im Rahmen seiner Tätigkeit verantwortlich für das Führen verschiedener großer Fahrzeuge. Die mit dem Alkoholkonsum einhergehenden Minderungen der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit führen zu erheblichen Gefahren für Menschen und Material auf dem Hofgelände, denen die Beklagte als Betriebsinhaberin so weit wie möglich begegnen muss.
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b) Die Beklagte musste aufgrund der Vorfälle in der Vergangenheit auch künftig mit Alkoholauffälligkeiten des Klägers während der Arbeitszeit rechnen.
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aa) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag beim Kläger im Kündigungszeitpunkt eine Alkoholerkrankung vor. Daran ist der Senat gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO). Der Kläger behauptet zwar weiterhin das Gegenteil. Das reicht als Revisionsangriff aber nicht aus (zu den Anforderungen an eine zulässige Verfahrensrüge vgl. BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 145).
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bb) Der Kläger war seit Anfang des Jahres 2010 mehrfach alkoholisiert an seinem Arbeitsplatz angetroffen worden. Nach einer stationären Entwöhnungsbehandlung, die er aus wirtschaftlichen Erwägungen abbrach, wurde er wiederholt alkoholauffällig. Daraus durfte das Landesarbeitsgericht auf die Wiederholung entsprechender Ausfälle in der Zukunft schließen. Der Kläger hat im Rahmen der ihn nach § 138 Abs. 2 ZPO treffenden abgestuften Darlegungslast (vgl. dazu BAG 17. Juni 1999 – 2 AZR 639/98 – zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96) keine Umstände aufgezeigt, die geeignet gewesen wären, die Indizwirkung seiner alkoholbedingten Ausfälle zu entkräften.
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(1) Der Kläger hat nicht behauptet, vor dem Ausspruch der Kündigung eine neuerliche Alkoholtherapie begonnen zu haben. Die Beklagte durfte den Umständen nach von einer Therapieunwilligkeit ausgehen. Sie hatte ihn mit Schreiben vom 16. März 2011 aufgefordert, einen Nachweis über eine Entziehungskur beizubringen. Dies konnte der Kläger angesichts der zuvor erteilten Auskunft seines behandelnden Arztes nur so verstehen, dass es ihr um die zukünftige Teilnahme an einer Kur und damit die Abklärung seiner ernsthaften Bereitschaft ging, eine Entwöhnungsbehandlung durchzuführen. Der Kläger hat das Schreiben im fraglichen Punkt unbeantwortet gelassen. Soweit er geltend gemacht hat, er habe sich noch im März 2011 um eine „weitere ärztliche Behandlung bemüht“, war seinem Vorbringen nicht zu entnehmen, dass er eine Alkoholtherapie anstrebte. Im ärztlichen Bericht vom 26. April 2011 heißt es zu einer nach Zugang der Kündigung erfolgten Krankenhausbehandlung nur, der Kläger sei „arbeitsfähig“ entlassen worden. Zur Art der Behandlung, insbesondere ob es sich dabei um – erfolgreiche – Maßnahmen zur Alkoholentwöhnung handelte, verhält sich der Bericht nicht. Darauf, ob eine vom Kläger erst nach Zugang der Kündigung begonnene Alkoholtherapie im Rahmen der anzustellenden Zukunftsprognose überhaupt hätte Berücksichtigung finden können (zur Problematik vgl. BAG 17. Juni 1999 – 2 AZR 639/98 – zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96), kommt es nicht an.
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(2) Auch wenn eine Vielzahl beim Kläger durchgeführter Alkoholtests unauffällig gewesen sein mögen, führt dies nicht daran vorbei, dass in drei Fällen Werte von über 0,5 „Promille“ erreicht wurden, wobei mangels gegenteiliger Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zugunsten des Klägers davon auszugehen ist, dass der jeweilige Wert – aufgrund einer vom Messgerät intern durchgeführten Umrechnung – die Blutalkoholkonzentration widerspiegelt, die andernfalls noch höher ausfiele (zum Umrechnungsfaktor vgl. BGH 3. April 2001 – 4 StR 507/00 – zu IV b der Gründe, BGHSt 46, 358). Unter diesen Umständen war nicht davon auszugehen, der Kläger habe seine Alkoholerkrankung „im Griff“ gehabt und die Fähigkeit zur Abstinenz besessen. Mit seinem Einwand, es habe sich jeweils um „Restalkohol“ aufgrund des Genusses alkoholischer Getränke am Vorabend gehandelt, verkennt der Kläger, dass es für die Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit unerheblich ist, wann er Alkohol zu sich genommen hat. Es spricht überdies nicht für, sondern gegen die Annahme, er könne seine Alkoholsucht „beherrschen“, wenn es sich etwa bei der am 20. September 2010 gegen 12:50 Uhr gemessenen Alkoholkonzentration von 0,52 Promille um „Restalkohol“ gehandelt haben sollte. Dies deutete – das Vorbringen als wahr unterstellt – auf eine sehr starke Alkoholisierung am Vortag hin.
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3. Die Alkoholerkrankung und die damit verbundene mangelnde Einsatzfähigkeit des Klägers führten zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen.
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a) Der Kläger erbringt seine Arbeitsleistungen in einem Umfeld, das von An- und Abtransporten sowie Umladungen von Metallabfällen mittels schwerer Gerätschaften wie Bagger, Gabelstapler, Lader, betriebseigener und betriebsfremder LKW geprägt ist. Seine vertraglich geschuldete Tätigkeit ist deshalb – unstreitig – sowohl mit einer nicht unerheblichen Gefahr für sich selbst als auch für Dritte verbunden.
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b) Aufgrund dieser Gefahren war es der Beklagten nicht zuzumuten, den Kläger auf seinem bisherigen Arbeitsplatz einzusetzen. Nach § 7 Abs. 2 der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (BGV A1 idF vom 1. Januar 2004) dürfen Unternehmer Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. Gemäß § 15 Abs. 2 der Vorschrift dürfen Versicherte sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden können. Eine solche Eigen- oder Fremdgefährdung ist nach der BG-Regel A1 zu § 15 Abs. 2 (vom Oktober 2005 idF vom Januar 2009) insbesondere beim Führen von Fahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen sowie beim Arbeiten in deren unmittelbarer Nähe gegeben. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zum Verlust des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung führen. Für den Straßenverkehr sieht der Gesetzgeber ab einem Wert von 0,25 mg/l Alkohol in der Atemluft und 0,5 Promille Alkohol im Blut eine erhebliche Gefährdung für den Straßenverkehr (§ 24a StVG). Relative Fahruntüchtigkeit kann schon ab ca. 0,3 Promille Alkohol im Blut anzunehmen sein (grundlegend BGH 28. April 1961 – 4 StR 55/61 – zu I 2 der Gründe; zuletzt bspw. OLG Hamm 25. August 2010 – I-20 U 74/10, 20 U 74/10 – Rn. 22). Das im Betrieb der Beklagten angeordnete absolute Alkoholverbot trägt diesen Gefahren Rechnung. Es dient – wie die Anordnung der Geltung der StVO auf dem Betriebsgelände – ersichtlich dazu, entsprechende Risiken vorbeugend auszuschließen und damit letztlich Schaden von der Beklagten selbst, ihren Mitarbeitern sowie betriebsfremden Personen und deren Eigentum abzuwenden. Angesichts der Alkoholerkrankung des Klägers und seiner nachweislich – auch krankheitsbedingt – mangelnden Fähigkeit, abstinent zu bleiben, konnte und durfte die Beklagte nicht darauf vertrauen, er werde seine Arbeit als Hofarbeiter nüchtern, zumindest aber in einem körperlichen Zustand verrichten, der den Präventionsvorgaben gerecht wird.
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c) Bereits dies führt – vorbehaltlich einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit – zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG (vgl. BAG 13. Dezember 1990 – 2 AZR 336/90 – zu II 3 der Gründe), ohne dass es noch darauf ankäme, ob der Alkoholgenuss des Klägers zu Unfällen beigetragen hat, in die er während seiner Tätigkeit für die Beklagte verwickelt war. Ebenso wenig ist von Belang, ob und ggf. wie oft dieser in der Vergangenheit objektiv durch seine Alkoholisierung am Arbeitsplatz gesetzliche Vorgaben verletzt hat oder ggf. unerkannt arbeitsunfähig war. Entscheidend ist, dass die Beklagte aufgrund der im Kündigungszeitpunkt fortbestehenden Alkoholerkrankung jederzeit mit einer Beeinträchtigung der Fahr- und Arbeitssicherheit durch den Kläger rechnen musste. Sein weiterer Einsatz als Hofarbeiter war ihr damit nicht zumutbar.
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d) Dass sie ihn nach Abbruch der Entziehungskur gleichwohl mit entsprechenden Aufgaben betraut hat, stellt diese Bewertung nicht in Frage. Dies geschah über längere Zeit hinweg unter der Prämisse einer Einwilligung in die Durchführung regelmäßiger Alkoholtests. Jedenfalls nachdem der Kläger ihre Anfrage vom März 2011 hinsichtlich einer weiteren Alkoholtherapie unbeantwortet gelassen hatte, konnte der Beklagten nicht mehr angesonnen werden, den Kläger weiterhin mit seinen bisherigen Aufgaben zu betrauen und ihn dabei täglich – ggf. sogar wiederholt – auf seine Alkoholabstinenz hin zu kontrollieren (vgl. BAG 20. Dezember 2012 – 2 AZR 32/11 – Rn. 34). Zudem war der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ab Ende 2010 nicht mehr bereit, an regelmäßigen Tests vorbehaltslos mitzuwirken. Auch daran ist der Senat mangels zulässigen Angriffs der Revision gebunden.
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e) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Kündigungszeitpunkt habe keine zumutbare Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung des Klägers bestanden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 1020/08 – Rn. 18; 10. Dezember 2009 – 2 AZR 198/09 – Rn. 14; jeweils mwN). Die Möglichkeit der anderweitigen Beschäftigung ist ein milderes Mittel. Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, hat eine Erkrankung des Arbeitnehmers keine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zur Folge (vgl. BAG 24. November 2005 – 2 AZR 514/04 – zu B IV 1 der Gründe).
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bb) Der Kläger hat sich insoweit auf eine Beschäftigung als Hofarbeiter ohne Verpflichtung zum Führen eines Kraftfahrzeugs und als Platzwart berufen. Damit hat er keine geeignete alternative Beschäftigungsmöglichkeit aufgezeigt. Die Beklagte hält die von ihm bezeichneten „Arbeitsplätze“ nicht vor. Zudem ist weder dargetan noch objektiv erkennbar, dass die Ausübung der fraglichen Tätigkeiten vergleichbare Sicherheitsrisiken nicht auch mit sich brächte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei im Falle einer alkoholbedingten Einschränkung seiner Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit nicht in der Lage, auf Gefahrensituationen angemessen zu reagieren und/oder Dritte ggf. rechtzeitig zu warnen. Der Kläger stellt dies nicht in Abrede. Er meint lediglich, die im Berufungsurteil getroffene Wertung lasse außer Acht, dass solche Gefahren auch bei anderen chronischen Erkrankungen nicht hinreichend sicher auszuschließen seien. Dabei übersieht er zum einen, dass Suchterkrankten – im Gegensatz zu anderen chronisch kranken Menschen – typischerweise die Fähigkeit fehlt einzuschätzen, ob sie wegen des Konsums von Suchtmitteln in ihrer Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit eingeschränkt sind. Zum anderen ist es eine Frage des Einzelfalls, ob ein Arbeitnehmer wegen chronischer Erkrankung und damit verbundener Sicherheitsrisiken bestimmte Arbeiten nicht mehr erledigen kann. Ein solcher Befund kann sich nicht nur beim Alkoholismus ergeben.
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cc) Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob die Beklagte vor der Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX (bEM) durchgeführt hat. Das Versäumnis ist nicht entscheidungserheblich.
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(1) Zugunsten des Klägers kann davon ausgegangen werden, dass bei Alkoholismus ein bEM grundsätzlich in Betracht kommt und seine Durchführung sich nicht wegen des Krankheitsbildes generell als überflüssig darstellt (zur Problematik vgl. Brose DB 2013, 1727, 1728). Gleichwohl erscheint fraglich, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Streitfall vorliegen. Zwar war ein bEM nicht deshalb entbehrlich, weil bei der Beklagten keine betriebliche Interessenvertretung iSd. § 93 SGB IX bestand (vgl. BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 28, BAGE 135, 361). Es ist aber weder festgestellt noch vom Kläger behauptet, dass er vor der Kündigung innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt wegen seiner Alkoholerkrankung arbeitsunfähig war. Seine Beschäftigung mag der Beklagten unzumutbar gewesen sein. Dies steht einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aber nicht ohne Weiteres gleich (ähnlich BAG 20. Dezember 2012 – 2 AZR 32/11 – Rn. 31). Soweit der Kläger im Frühjahr 2010 Krankengeld bezogen hat, bleibt unklar, für welche Dauer er die Sozialleistung erhielt.
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(2) Abgesehen davon führte das Unterlassen eines bEM nicht zu der Annahme, die Kündigung sei unverhältnismäßig. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.
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(a) § 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das bEM ist zwar kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 18; 12. Juli 2007 – 2 AZR 716/06 – Rn. 41, BAGE 123, 234). Möglich ist, dass selbst ein bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines bEM kein Nachteil entstehen. Erscheint demgegenüber ein positives Ergebnis denkbar, darf er sich nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Der Arbeitgeber hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer ggf. außergerichtlich genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz in Betracht kommen (BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 35, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 19).
35

(b) Im Streitfall erscheint es als ausgeschlossen, dass ein bEM zu einem positiven Ergebnis hätte führen können. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beschäftigte die Beklagte im Kündigungszeitpunkt außer Hofarbeitern nur LKW-Fahrer und Verwaltungskräfte. Als LKW-Fahrer konnte der Kläger wegen seiner Alkoholabhängigkeit und auch deshalb nicht eingesetzt werden, weil ihm die dafür notwendige Fahrerlaubnis fehlte. Auch ein Einsatz im Bürobereich war der Beklagten angesichts der Alkoholabhängigkeit nicht zumutbar. Unabhängig davon fehlte dem Kläger hierfür offensichtlich die Qualifikation. Soweit er bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gelegentlich und unter Berücksichtigung seiner Einschränkungen mit einfachen Hilfsarbeiten beschäftigt worden war, kann daraus nicht auf eine alternative Einsatzmöglichkeit iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG geschlossen werden. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie die fraglichen Tätigkeiten nach Ablauf der Kündigungsfrist – wie bereits zuvor – fremdvergeben habe. Allenfalls dann, wenn ihre Hofarbeiter nicht mit anderen Aufgaben ausgelastet gewesen seien, hätten diese – gelegentlich – die Arbeiten mit übernommen. Dieser Behauptung ist der Kläger nicht entgegengetreten. Im Übrigen stand der erfolgreichen Durchführung eines bEM die mangelnde Therapiewilligkeit des Klägers im Kündigungszeitpunkt entgegen.
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4. Die Abwägung der Belange beider Parteien ergibt, dass das Beendigungsinteresse der Beklagten das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Das Landesarbeitsgericht hat alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.
37

a) Der Beklagten war es auf Dauer nicht mehr zumutbar, die mit einer möglichen Alkoholisierung des Klägers verbundenen Gefährdungen hinzunehmen. Geeignete Mittel, ihnen angemessen zu begegnen, standen nicht zur Verfügung. Unabhängig von der fehlenden Einwilligung des Klägers in regelmäßige Alkoholtests versprachen derartige Kontrollen nicht die erforderliche Sicherheit. Der Kläger war Alkoholiker. Es war davon auszugehen, dass er es darauf anlegen würde, Mittel und Wege zu finden, etwaige Kontrollen zu umgehen.
38

b) Diese Belange der Beklagten werden durch die zwölfjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers, sein Alter und die gegenüber seiner Ehefrau bestehende Unterhaltsverpflichtung nicht aufgewogen. Die Beklagte hat dem Kläger nach Alkoholauffälligkeiten die Chance einer Bewährung gegeben. Sie hat die stationäre Behandlung abgewartet. Deren Scheitern war ihr nicht anzulasten. Überdies hat sie dem Kläger nach einer erneuten Alkoholauffälligkeit im August 2010 durch eine Abmahnung deutlich vor Augen geführt, welche Bedeutung sie seiner Abstinenz zumisst, und ihm unmittelbar vor der Kündigung eine Frist gesetzt, um weitere – kurzfristig anzugehende – Behandlungsmaßnahmen nachzuweisen. Sie hatte damit alles ihr Zumutbare für den Erhalt des Arbeitsverhältnisses getan. Ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses musste nicht deshalb zurücktreten, weil sie zu früheren Zeiten im Betrieb alkoholische Getränke bereitgestellt hatte. Der Kläger hat nicht etwa behauptet, die Beklagte habe ihn trotz Kenntnis von seiner Alkoholabhängigkeit zum Genuss alkoholischer Getränke verleitet.
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c) Unschädlich ist, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis erst gekündigt hat, nachdem sich herausgestellt hatte, die dem Kläger erteilte „tschechische Fahrerlaubnis“ im Inland keine Gültigkeit besaß. Ihr war es trotz dieses Zuwartens nicht verwehrt, sich auf die Alkoholerkrankung des Klägers als eigenständigen Kündigungsgrund zu berufen. Überdies war dessen Verhalten im Zusammenhang mit dem Führerschein ein weiterer Beleg für das Fehlen seiner Bereitschaft, mit bestehenden Unzulänglichkeiten verantwortlich umzugehen. Ob umgekehrt die Kündigung allein wegen der Tatsache gerechtfertigt wäre, dass der Kläger nicht über eine für Deutschland gültige Fahrerlaubnis verfügte, bedarf keiner Entscheidung.
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II. Das Landesarbeitsgericht hat – unausgesprochen – angenommen, die Kündigung sei nicht deshalb unwirksam, weil die maßgebende Kündigungsfrist nicht eingehalten worden sei. Dagegen wendet sich der Kläger nicht. Er geht – in Übereinstimmung mit der Beklagten – davon aus, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 4. April 2011, sollte diese sich als sozial gerechtfertigt erweisen, mit Ablauf des 30. September 2011 aufgelöst worden und die Kündigungserklärung sei entsprechend auszulegen. Ein Rechtsfehler ist insoweit auch objektiv nicht zu erkennen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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